„Schwarzes Herz“
Autorin: Jasmina Kuhnke
205 Seiten / geb. Ausgabe
ISBN: 9783498002541
Verlag: Rowohlt

„Mein Stiefvater hatte mir viele Jahre eingeredet, ich wäre ein böser Mensch und würde irgendwann vom lieben Gott dafür bestraft werden. Und ich glaubte, dass ich ein schlechter Mensch war und schlechten Menschen nun mal auch Schlechtes widerfährt. Ich konnte mir nicht entkommen, nicht dem entkommen, was ich war.“

Kraftvoll und eindringlich schreibt Jasmina Kuhnke in ihrem ersten Roman darüber, wie sich Rassismus in die Seelen der betroffenen Menschen webt. Es wird niemanden so schnell loslassen, denn es tut weh.

Nach dem Debakel mit der Frankfurter Buchmesse wegen eines Faschismusverlages und Jasmina Kuhnkes Absage ihrer Teilnahme, weil sie verständlicherweise um ihre eigene Sicherheit besorgt war, stand es für Herrn Schnute und mich fest, dass wir diese Autorin sowie alle anderen, die aus den gleichen Gründen bzw. aus Solidarität mit Jasmina Kuhnke heraus abgesagt hatten, mit einem Kauf der Titel unterstützen werden. Wir hatten für den Sonntag ein Tagesticket – natürlich gekauft bevor uns das Ganze Ausmaß so richtig klar war.

Der Unterschied zwischen Jasmina Kuhnke und uns ist, dass wir uns vor Nazis nicht fürchten müssen, solange wir einfach unsere Klappe halten. Wir sind eben weiß. Jasmina ist Schwarz. Wir sind Ultralinke und gehen Nazis auch nicht aus dem Weg. Auch wenns mal weh tun kann. Allerdings haben wir diese Wahl, ob wir uns dieser Konfrontation stellen oder nicht. Wie gesagt, wir müssen einfach nur unsere Klappe halten. Sowas nennt sich Privileg. Und wie gerne erzählen mir weiße Mitmenschen, dass es sowas wie Privileg nicht gibt.

Bullshit!

Oder wie es John Scalzi einmal sagte: straight white male is the easiest difficulty setting in the game of life.

Doch genug dazu. Hier soll es vorrangig um das Buch gehen.

„Schwarzes Herz“ beginnt mit einer allgemeinen Triggerwarnung und verweist auf die detaillierte Triggerwarnung am Ende. Es ist empfehlenswert, beides zu lesen. Dieses Buch ist knallhart und kann einen unvorbereitet eiskalt erwischen. Schon die ersten Seiten haben es extrem in sich und auch wenn ich darauf vorbereitet war, haben sie mich heftig erwischt. Aber heftig erwischen muss vielleicht manchmal einfach sein.

Bereits die erste Seite enthält einen Satz, der mich direkt anspricht. Mich, die weiße Frau, die nie in ihrem Leben Rassismuserfahrungen machen musste, einfach weil sie weiß ist.

Aber es ist mir gelungen, mich freizukämpfen. Es ist mir gelungen, den Scherbenhaufen, der mein Leben war, zusammenzufegen und die Bruchstücke neu zusammenzusetzen. Ich habe sie überlebt. Ich lebe.

S. 7, „Schwarzes Herz“

Jeder Mensch, der einmal sein Leben von Grund auf neu aufbauen musste, der sich selbst ändern musste, um diesen Aufbau zu schaffen, weiß genau, was dieser Satz bedeutet. Denn dieser Satz sagt einfach wahnsinnig viel aus. Und dabei ist es völlig egal, welche Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder welches Geschlecht man hat. Dieser Satz ist Kraft pur! Und jede:r, die/der die Bedeutung dieses Satzes fühlt, kennt auch dieses Gefühl des Stolzes auf sich selbst.

Wir folgen einer namenlosen Protagonistin durch kurze, schnell wechselnde Kapitel. Die Sprache ist hart und schonungslos, etwas, was viele negative Rezensionen auf diversen Plattformen bemängeln. Mich sprach es jedoch an, weil ich es einfach nur nachfühlen konnte. Diese Wut, diese Hoffnungslosigkeit, dieses „me against the world“. Da findet man keine tolle Prosa. Da ist man nicht eloquent. Wenn Du das anders siehst, dann geh mal tief in dich rein und schau Dir zu, wie Du sprichst, wenn der Zorn Dich übermannt. Merkste selber, gell?

Ein weiterer Punkt, der gern in den von mir gelesenen Rezensionen bemängelt wird ist, dass die Kapitel extrem krass zwischen einzelnen Zeitlinien wechseln. Mal erleben wir die Protagonistin bei der Vergewaltigung durch ihren Exmann oder naiv und unbedarft als Kind oder wütend und verloren als Teenager.

Die Protagonistin ist die Tochter eines Senegalesen und einer Jugoslawin. Der Vater verschwindet spurlos noch bevor er überhaupt von der Schwangerschaft weiß. Die Mutter ist mitten in der Ausbildung zur Krankenschwester zu diesem Zeitpunkt. Deren Mutter, also die Großmutter der Protagonistin, war ebenfalls größtenteils alleinerziehend und kommt erstmal mit dieser ungeplanten Schwangerschaft gar nicht zurecht. Trotzdem verhält sie sich, wie sich eine Mutter und Oma verhält. Sie unterstützt ihre Tochter. Sie unterstützt ihre Enkelin.

Und so wächst unsere Protagonistin von Mutter und Großmutter, Onkel und Tante geliebt die ersten Jahre sehr behütet auf, bis ihre Mutter den zukünftigen Stiefvater kennenlernt. Anfangs freut man sich noch, dass sie jetzt eine „volle“ Familie hat, aber es wird schnell klar, dass der Schein nur trügt. Der Stiefvater ist gewalttätig und auch verbal missbräuchlich.

Dass sie Schwarz ist und damit anders ihr weißes Umfeld, schlecht sich erst so langsam in das Bewusstsein der Protagonistin, als sie älter wird. Lange versteht sie nicht, was bestimmte gemachte Aussagen bedeuten sollen. Sie hat keinerlei Kontext dafür. Sie weiß nichts über die Geschichte Afrikas oder die Kolonialisierung. Wie auch: ihre Mutter ist damit beschäftigt, die Familie als Alleinverdienende zu versorgen, die Großmutter hat ihre eigenen Probleme und Schwarze Identifikationsfiguren gibt es im Leben der Protagonistin nicht.

Wie wichtig das ist, wird nochmal extrem deutlich in Nikeata Thompsons Buch „Schwarz auf Weiß“, das ich gerade lese. Während Nikeata Thompson ebenfalls als Schwarze unter vielen weißen aufwächst, hat sie doch viele Schwarze Rollenbilder in ihrem direkten Umfeld, die der Protagonistin in „Schwarzes Herz“ komplett fehlen.

Und dieser Unterschied macht extrem viel aus. Unsere Protagonistin merkt, dass sie anders ist, weil sie anders behandelt wird. Das Warum erschließt sich ihr jedoch erst sehr viel später. Da kommen wir auch zu dem Punkt, der mich persönlich am meisten betroffen gemacht hat. Rassismus überrascht mich nicht. Ich weiß, dass er existiert. Ich weiß, dass er in manchen Fällen auch aus purer Unwissenheit heraus passiert. So gibt es dazu z.B. eine Szene, als unsere Protagonistin in eine neue Schule kommt zusammen mit einem Skinhead. Dieser bezeichnet sie als N*****-Schlampe. Die Lehrerin weist ihn zurecht, dass er die Protagonistin nicht Schlampe nennen soll, was wiederum unsere Protagonistin dazu veranlasst, anzumerken, dass es aber wohl durchaus okay sei, wenn er sie N***** nennt. Die Lehrerin ist daraufhin völlig außer sich und schreit beide an. Ich denke, ihr war es gar nicht bewusst, was sie da eigentlich gesagt hatte und als die damit konfrontiert wurde, verfiel sie direkt in eine defensive Haltung. Etwas, das man heute noch immer in allen möglichen Situationen beobachten kann. Sprich Menschen auf ihre Fehltritte an und sie werden defensiv. Ein großes Problem der Menschen, ein gefährliches Problem jedoch beim Thema Rassismus.

Was mich jedoch betroffen gemacht hatte, war der absichtliche Rassismus, der die Protagonistin gezielt verletzen sollte. Der Vater, der sie psychisch und physisch misshandelte. Lehrer, die in ihrer Anwesenheit absichtlich verletzende Dinge sagen. Hallo, Ihr seid fucking Lehrer und da sitzt das KIND über das Ihr gerade redet, als sei es nicht da. Ein Sportlehrer, der ihr kurzerhand eine Note abzog, weil Schwarze angeblich andere Fersen haben und deswegen im Vorteil gegenüber weißen Sportlern sind. Es wurde alles Mögliche zu ihr und über sie in ihrer Anwesenheit gesagt, was sie doch alles in den Genen hätte. Das war einfach nur zum kotzen. Dieser grundlegende Respekt, den man Menschen gegenüber einfach entgegenbringen sollte, den hatten sie alle nicht, wenn es um die Protagonistin ging. Das hat mich betroffen gemacht. Und es hat mich wütend gemacht. Genauso wütend, wie die Protagonistin. Und deswegen scheiß drauf, dass sie eine derbe Sprache verwendet. Ihr seid verletzend. Sie hat nicht die Pflicht, Euch sanft zu behandeln, wenn Ihr nicht mal grundlegend Respekt zeigt.

Diese Wut der Protagonistin gepaart mit dem schlechten Selbstwertgefühl führen zu einer Abwärtsspirale. Sie will einfach nur angenommen und geliebt werden um ihrer selbst willen. Wie das eigentlich jede:r Mensch will. Dabei stürzt sie sich in Beziehungen mit Männern, die ihr nicht gut tun und landet am Ende bei ihrem späteren Exmann. Der ist ein typischer Abuser. Er setzt das fort, was der Stiefvater bereits angefangen hat. Er misshandelt sie körperlich und psychisch. Er beleidigt sie. Er bricht sie. Zweimal wird sie schwanger. Jedes Mal erzählt er ihr, dass er sich ändern wird, was er natürlich nicht tut. Dabei mögen die beschriebenen Szenen abstoßend sein und fassungslos machen. Diesen Effekt hatten sie bei mir nicht. Ich ertappte mich dabei, wie ich in meinem Kopf daneben saß und die Protagonistin anfeuerte, endlich die Kraft zu finden, sich von ihm zu lösen. Wie ich ihr immer wieder sagte, Mädel, Du kannst das. Du kannst das ohne ihn. Ich habs doch auch geschafft. Und ich jubelte, als sie es endlich schaffte. Ich war so stolz, dass ich am liebsten laut aus dem Fenster geschrien hätte, dass sie den Mistkerl endlich verlassen hat. ENDLICH.

Es mag nicht unbedingt Jasmina Kuhnkes Absicht gewesen sein, aber in diesem Buch habe ich mich an so vielen Stellen wiedergefunden. Das liebe brave Kind. Die verlorene Teenagerin. Die Missbrauchsbeziehungen. Dieses „Ich ändere das jetzt“. Dieses Gefühl am Ende, dass es einem keiner mehr nehmen kann, dass man sein Leben neu zusammengesetzt hat. Vielleicht war es auch ihre Absicht. Wer weiß. Ich denke, Überlebende finden sich in diesem Werk wieder, wenn auch die Gründe, warum man diesen Weg gehen musste andere gewesen sind.

In Jasminas Fall war es tatsächlich der Alltagsrassismus, egal ob offen oder verdeckt, der dazu führte. Und der Missbrauch durch ihren Stiefvater, WEIL sie Schwarz ist. Und das darf man nicht vergessen, wenn man so Dinge sagen will wie „Das passiert doch Millionen Frauen auf dieser Welt“.

Mal abgesehen davon, dass DAS allein schon mächtig Scheiße ist (tut was dagegen!), lasst doch diesen verfickten Whataboutismus bleiben. Jedes dieser Schicksale ist als Geschichte legitim. Die Gründe zu beleuchten, warum das überhaupt passiert, ist legitim. Fuck, es ist nicht nur legitim, es ist fucking WICHTIG, denn nur so können wir was ändern. Erzieht Eure Kinder nicht zu Scheißfiguren. Erzieht Eure Kinder nicht zu Rassisten. Und hört endlich auf, Euch darüber aufzuregen „was man ja nicht mehr alles sagen darf“ sondern tretet mal nen Schritt zurück, haltet Eure Fresse und hört zu.

Es gibt eine Szene im Buch, als die Protagonistin ihren späteren Exmann kennenlernt. Er lernt sie in ihren Alltagsklamotten kennen. Überschüttet sie mit Komplimenten und trägt sie quasi verbal auf Händen. Trotzdem lässt er immer wieder durchklingen, worauf er eigentlich steht bei einer Frau. Und unsere Protagonistin verbiegt sich für ihn. Zwängt sich in Klamotten, in denen die sich unwohl fühlt. Trägt Schuhe, die sie nicht tragen will. Nur für ihn.

Können wir mal bitte aufhören, unseren Töchtern zu vermitteln, dass SOWAS richtig ist? Er hat sie in Alltagsklamotten kennengelernt, also nimmt er sie so wie sie ist oder basta. Scheiße hat mich diese Szene aufgeregt. Sie ist aber so logisch. So verständlich. So ’normal‘. Es macht mir Angst. Und immer dachte ich mir nur „Mädel, mach das nicht. Der isses nicht wert. Hör auf Dein Bauchgefühl“ und ich wusste, selbst wenn ich dabei gewesen wäre, es wäre egal gewesen, denn an diesem Punkt war unsere Protagonistin noch nicht soweit. Wenn ich ehrlich bin, kann ich da eh nicht groß daherreden, ich musste erst 35 werden, um das zu kapieren!

Es ist eine rasante Fahrt durch dieses Leben unserer Protagonistin. Und hier sind einige Zitate vom kurz vor Ende des Buches, wo ich dachte, sie erzählt aus meinem Leben.

Wenn ich mich von außen betrachte, denke ich, dass ich selbstbewusst und stark wirke. Ich weiß ich zu wehren. Bei Freund*innen erkenne ich sofort, wenn die Beziehung nicht gut läuft. Warum habe ich es bei mir nicht gesehen? Oder habe ich es doch gesehen? Wie konnte ich so sehr glauben, dass ich nichts anderes verdiene? Ich fühle mich schwach. Ich fühle mich jämmerlich. Ich verachte mich.

S. 167

Oder auch:

Ich weiß nicht, welche Reaktionen ich erwartet habe, aber neben viel Mitgefühl und Verständnis bekomme ich auch zu hören, dass ich ihn sicherlich auch hin und wieder dazu provoziert hätte. Wenn ich erstaunt und verletzt zurückfrage: „Wie kommst Du darauf?“, sagt man mir: „Du wirkst nicht wie ein Opfer. Du bist doch stark und schlagfertig.“ Damit kann ich nichts anfangen. Wie sieht ein passables Opfer von häuslicher Gewalt aus? Gibt es ein Regelwerk dafür, an das Frau sich zu halten hat

S. 169

Das beschissenste überhaupt, nicht wahr? Und noch ein Grund, warum das Patriarchat auch für Männer toxisch ist. Denn männliche Opfer häuslicher Gewalt ‚gibts ja nicht‘.

Ohne den Druck, sich Gedanken darüber zu machen, was die Gesellschaft von mir hält, war ich frei.

S. 169

Das Geilste Gefühl im Leben überhaupt! Und das kann einem keiner mehr nehmen. Und man gibt es auch nicht mehr auf. Für nichts und niemanden! Hab ich grad letztes Wochenende mit einer Freundin darüber geredet.

Ich weiß, es liegt nicht in meiner Hand, ob man mich respektiert. Ich muss anfangen, mich selbst zu respektieren. Selbstwertgefühl nicht von außen bestimmen lassen.

S. 169/170

Wie viel weniger schlimme Schicksale gäbe es im Leben, wenn wir diese Einstellung jedem Kind mit auf den Weg geben und es ihnen auch vorleben? Wieviel schöner könnte das Leben von Anfang an sein, wenn jede:r Mensch mit diesem Gefühl aufwächst und es verinnerlicht?

Dafür, dass das Buch nur etwas über 200 Seiten hat, ist diese Rezension sehr lang geworden. Ich habe schon wesentlich weniger Zeilen über wesentlich umfangreichere Werke geschrieben. Ich habe mich noch nie so verstanden gefühlt wie beim Lesen dieses Buches. Und das sagt eigentlich alles.

Wenn auf die Aussage „Weiße sind Rassisten“ Deine erste Reaktion ist: „Aber ich bin kein Rassist“, dann bist Du wahrscheinlich einer. Egal, wo Du im Leben stehst, wer Du bist, wo Du herkommst. Egal, welches Geschlecht Du hast oder welche Sexuelle Orientierung. Lies dieses Buch. Es hilft Dir sehr wahrscheinlich sehr dabei, ein paar Dinge zu verstehen. Zu verstehen, warum Frauen gewaltsame Beziehungen nicht einfach beenden. Zu verstehen, was dazu führt. Zu verstehen, dass dieser Alltagsrassismus betroffene Menschen tief prägt. Lest das Buch.

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