
„Eisfuchs“
Originaltitel: Split Tooth
Autorin: Tanya Tagaq
156 Seiten / eBook
ISBN: 9783956143717
Verlag: Kunstmann Antje GmbH

Ein Städtchen am Rande des Eismeers im Norden Kanadas. Eine Kindheit, geprägt von der übermächtigen Natur und einem sich auflösenden Zusammenhalt. Ein mutiges Mädchen, das die alten Mythen entdeckt und erwachsen wird. Tanya Tagaq erzählt poetisch, sinnlich, mit großer Kraft.
Der Winter ist vorbei und damit die Zeit, die die Kinder im Haus verbringen müssen, weil es draußen bitterkalt ist, hoch im Norden Kanadas, am Rande des Eismeers. Im Frühling haben die Kinder das Städtchen in der Hand, streunen auf der Suche nach Abenteuern durch die Straßen und durch die Tundra. Nach so wilden Abenteuern, dass sie dabei sogar das Leben riskieren. Die Erwachsenen sind mit eigenen Problemen beschäftigt und können keinen Halt bieten. Im Gegenteil.
Tanya Tagaq erzählt in diesem atemberaubenden Debüt von der Kindheit und Jugend eines Mädchens in der Arktis: von einer übermächtigen Natur, von den allgegenwärtigen Füchsen, den majestätischen Polarbären und den Mythen der Inuit. Unter den furchterregenden und verzaubernden Polarlichtern verschwimmen für das Mädchen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, Zeit und Raum, und sie begibt sich auf eine verstörend sinnliche Selbstsuche, um die Wunden zu heilen, an denen in einer sich auflösenden Gemeinschaft alle tragen.

Auf eine Empfehlung hin, habe ich „Eisfuchs“ gelesen. Vorab: Aus dem Klappentext geht es nicht hervor und es gibt auch leider keine Inhaltswarnung, aber diese braucht das Buch definitiv.
Hinweis von meiner Seite: Das Buch beinhaltet explizite sexuelle Ausdrücke, Schilderungen sexueller Übergriffe auf Mädchen und behandelt Themen wie Alkoholismus, Gewalt in der Familie und Gewalt allgemein. Das kann durchaus triggern.
„Eisfuchs“ ist ein autobiografisches Buch von Tanya Tagaq, in dem sie von ihrer Kindheit und dem Erwachsenwerden schreibt. Der Schreibstil ist sehr poetisch und bildhaft, dabei wechselt es immer zwischen Gedichten, Alltagsanekdoten und Passagen, die ihre Träume behandeln, ähnlich eines Traumtagebuchs.
Tagaq nimmt definitiv kein Blatt vor den Mund. So poetisch ihre Erzählweise ist, so knallhart ist an manchen Stellen die Wortwahl.
Geboren und aufgewachsen ist sie in der Region Nunavut im Norden Kanadas, wo im Sommer die Sonne nie untergeht und im Winter die Temperaturen auf Minus 50 Grad fallen können. Die Inuit, die früher einen nomadischen Lebensstil pflegten, bekamen von den Europäern den Lebensstil aufgedrängt, und wurden sesshaft. Dies verursachte schwere Identitätsprobleme unter den Inuit und die Selbstmordrate, auch unter jungen Menschen, war extrem hoch. 1993 wurde die Region unter Inuit-Verwaltung und Kontrolle gestellt, weil die kanadische Regierung endlich aufwachte und verstand, welche schrecklichen Auswirkungen die Besiedlung Kanadas auf die Inuit hatte.
Diese schwere Identitätskrise wird in Tagaqs Buch sehr deutlich, das Verlernen der Sprache, das Verschwinden der Inuit-Traditionen und Kultur, an deren Stelle Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit getreten sind, die in sexueller Gewalt und Gewalt allgemein kulminieren. Der Leser folgt der Erzählerin auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden und erlebt die Entdeckung der Spiritualität, die selbst durch die größten Zwänge der weißen Herrschaft nicht ausgelöscht werden konnte und die sich ihren Weg auf ihre eigene Weise zu den Inuit zurückbahnt.
„Eisfuchs“ ist ein Buch, das ich nicht mit Sternen bewerten kann. Ein Buch, bei dem ich nicht sagen kann, ob es mir gefallen hat oder nicht. Es ist in meinen Augen auch kein Buch, das man auf diese Art werten kann. Es ist ein gutes Buch. Es ist authentisch und mysteriös. Es ist brutal und trotzdem wunderschön. Wie die Welt der Inuit auch ist es ein Buch voller Gegensätze. Und das Einfangen dieser Gegensätze ist Tanya Tagaq wortgewaltig gelungen.

Auf „Eisfuchs“ von Tanya Tagaq muss man sich einlassen. Es ist sprachgewaltig und poetisch und zu manchen Stellen hat man als weißer Mensch einen schwierigen Zugang, weil der eigene kulturelle Hintergrund so ein ganz anderer ist. Klare Triggerwarnung für sexuelle Gewalt, Alkoholismus und Suizid.
Liebe Grit,
Du hast das Buch und den ganzen Umkreis hervorragend zusammengefasst. Chapeau! – Darf ich als Ethnloge eine kleine Korrektur einfügen? Inuit sind keine Nomaden – Nomaden sind immer Rinder-/Schaf- oder Sonstwaszücher. Inuit sind Jäger und Sammler.
Im übrigen hast Du eine ganz fantastische Homepage. In der ich mich immer gern wieder verliere…
Ich freue mich auch schon auf die Fortsetzung der Geschichte am Offenen Bücherschrank in Berg am Laim /vor dem Berhrpark). Und alle Leser desselben sollten aufpassen und immer wieder vorbeikommen: Es wird noch spannender.
Liebe Grüße
Günter