„Dolores“
Originaltitel: Dolores Claiborne
Autor: Stephen King
352 Seiten / Taschenbuch
ISBN: 3453074971
Verlag: Heyne

Little Tall Island, eine kleine Insel vor der Küste Maines. Dreißig Jahre lang war Dolores Haushälterin bei einer reichen, rücksichtslosen Witwe. Sie hat ihre Grausamkeiten ertragen, ihren Wahnsinn. Eine Frau mit einem düsteren Geheimnis. Erst als sie auf dem Polizeirevier von Little Tall ihr ganzes Leben erzählt, schlägt für sie die Stunde der Wahrheit.

Dolores ist für mich einer der am meisten unterschätzten Stephen King-Romane, der ungerechtfertigter Weise kaum Beachtung und Erwähnung findet. Wenngleich die Verfilmung mit Kathy Bates in der Hauptrolle, klasse war, so ist der Roman doch um einiges brillanter.

Auf 351 Seiten lässt Stephen King Dolores Claiborne ihre Geschichte erzählen, in Form eines Monologes, der unter die Haut geht. King kann Menschen schreiben. Mit Dolores hat er sich aber selbst übertroffen. Er präsentiert eine starke Frau und Mutter, die sich dem Leben stellt und all seinen Grausamkeiten.

Sie sitzt im Polizeirevier, weil man sie des Mordes an ihrer Vorgesetzten Vera Donovan verdächtigt, jener reichen Witwe, die der Welt immer mit einer grausamen Bitterkeit und Härte begegnete, egal, wer darunter leiden musste. Man kommt als Leser nicht umhin, Dolores Claiborne zu bewundern und Mitgefühl für sie zu empfinden. Aber auch Vera schleicht sich in das Herz des Lesers, unbemerkt und auch wenn Hass oder Wut hineinspielen sollen, so ist Vera für mich eine dieser beeindruckenden unangepassten Frauen, die in einer Welt zurechtkommen mussten, in denen unangepasste Frauen noch weniger gern gesehen waren, als sie es heute sind.

Dolores und Vera sind sich nicht so unähnlich wie man glauben mag. Jede kämpft sich auf ihre Weise durchs Leben, in der Welt, in der Männer das Sagen haben und Frauen gefälligst den Mund zu halten haben.

Sie sagte, manchmal müsste eine Frau ein arrogantes Luder sein. Manchmal ist ein Luder sein alles, woran eine Frau sich festhalten kann.

Dieser Roman schildert das Leben zweier Frauen, die aus unterschiedlichen Kreisen kommen. Es zeigt Dinge auf, deren sich viele junge Menschen heute kaum noch bewusst sind, Dinge, von denen auch Männer heutzutage kaum etwas verstehe, weil sie sie so nicht kennen. King beschreibt es sehr beeindruckend, wie hart das Leben als Frau in einer ‚zivilisierten westlichen‘ Welt sein kann und wie wenig Männer davon eigentlich nachvollziehen können. Er beschreibt es so einfühlsam, das mir beim Lesen selbst die Finger schmerzten vor Erinnerung an das Aufhängen von Bettlaken bei kalten Temperaturen. Er bringt das Leiden und Leben von so vielen Frauen aus Dolores Claibornes Generation auf den Punkt, verpackt in den Wortwitz und die große Klappe von Dolores, die sich ihrer selbst und ihrer Entscheidungen sehr bewusst ist. Die ehrlich zu sich ist und es deswegen zu anderen sein kann.

Einfach ganz groß.

In meinen Augen Kings bester Roman aus seinem Gesamtwerk. Brillant, wortgewaltig und bildhaft. Eine beeindruckende Geschichte einer beeindruckenden Frau, die Tat, was getan werden musste und die es aus Liebe tat, ohne dabei je an sich selbst auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Dieses Buch kann ich einfach nur jedem ans Herz legen.

5 Kommentare zu „King, Stephen – Dolores

  1. Hi Grit,

    Endlich konnte ich bei meinem chronologischen Lesen diese mit bisher unbekannte Lücke schließen. Und was für ein tolles Buch das war/ist. Leider wirklich völlig zu unrecht zu wenig genannt.

    Bin mit deiner Rezi zu 100% in Übereinstimmung.

    Viele Grüße
    Marc

  2. Uuuund ab auf die Wunschliste damit! 😀
    Danke für die tolle Rezension – ich hatte ‚Dolores‘ tatsächlich überhaupt nicht auf dem Schirm, was die King-Romane angeht. Das klingt aber echt nach einer sehr, sehr interessanten Geschichte.

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