Omega schlug die Augen auf. Es war kurz nach sechs. Die Nacht begann, dem Tage Platz zu machen und die Dunkelheit wich einer grauen Dämmerung, die wie immer den Rest des Tages vorherrschen würde.
Es war noch alles still in Habitat 284/B9 und Omega wusste nicht so recht, was es geweckt hatte. Es überprüfte die innere Uhr, aber ein kurzer Systemcheck bestätigte die fehlerfreie Funktion.
Merkwürdig.
Seit Omega denken konnte, begann sein Tag halb sieben. Immer! Omega überlegte kurz, ob es jemandem davon erzählen sollte, aber was sollte das bringen? Es dachte kurz nach, kam jedoch zu keinem wirklichen Schluss.
23 Minuten bis halb sieben. Was sollte es nur tun? Die Morgenroutine bestand aus neun Minuten persönlicher Hygiene und 6 Minuten Nahrungsaufnahme. Pünktlich um 6:45 Uhr würde sich die Tür der Subeinheit des Habitats öffnen und Omega würde mit allen anderen Bewohnern hinaus treten und seinen Dienst beginnen.
Ein dumpfes Geräusch riss Omega aus seinen Gedanken und es lauschte kurz. Nichts. Es setzte sich auf und blickte sich um. Auf den 6qm der Subeinheit lebte Omega schon immer. Seine schmale Ruhevorrichtung befand sich in einer Ecke. Der Nahrungsversorger war in der Wand gegenüber eingelassen direkt neben der Hygienekabine. Am Kopfende der Ruhevorrichtung gab es ein Fenster, dessen milchige Scheiben den Blick nach draußen verwehrten. Im Moment war dies auch die einzige Lichtquelle im Raum. Die Beleuchtung würde erst um 6:30 Uhr angehen.
Das dumpfe Geräusch ertönte wieder und dieses Mal konnte Omega auch die Richtung ausmachen, aus der es kam. Von der Tür. Omega überlegte kurz, ob es dem Geräusch folgen sollte. Noch immer waren es 20 Minuten bis halb sieben. Was konnte um diese Uhrzeit nur die Quelle des Geräusches sein?
Vorsichtig setzte Omega seine Füße auf den Boden und stand auf. Als es sich der Tür näherte, ertönte ein leises Klicken und die Tür schaltete in den Öffnungsmodus. Omega erstarrte. Die Tür war offen. Sie war nie offen um diese Zeit. Sie schwang nicht zur Seite, wie sie es sonst um 6:45 Uhr tat, aber sie hatte sich einen Spalt geöffnet.
Omega wartete, was passieren würde, aber es tat sich nichts. Die Tür blieb den Spalt offen und das dumpfe Geräusch war nun etwas weniger dumpf. Unschlüssig stand Omega am Ende der Ruhevorrichtung. Irgendetwas stimmte nicht. Omega überprüfte seine inneren Funktionen. Der Schlag beider Herzen war eindeutig erhöht und in der Gegend seines Nahrungsspeichers spürte es ein leichtes Kribbeln.
Vorsichtig setzte es einen Fuß nach vorn, ließ den zweiten und kurz darauf den dritten folgen. Nach drei weiteren Schritten war es an der Tür angekommen. Das nicht mehr ganz so dumpfe Geräusch war nun noch etwas deutlicher. Omega lauschte. Dann hob es seinen rechten Arm und legte die Hand an die Tür. Es lehnte den Kopf nach vorn und spähte durch den Spalt. Der Gang vor der Subeinheit war nur schwach beleuchtet. Die Tür der Subeinheit gegenüber war noch fest geschlossen. Es drehte den Kopf etwas hin und her, presste sich näher an die Tür, aber so sehr es auch versuchte, etwas zu sehen, da war nur der altbekannte Gang des Habitats. Omega dachte erneut kurz nach. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Sollte es Meldung machen? Die zuständige Psi würde um diese Zeit sicherlich auch noch ruhen. Eigentlich wusste Omega gar nicht so recht, wer überhaupt um diese Zeit schon den Ruhezyklus beendet hätte. Darüber hatte es noch nie nachgedacht.
Aber war jetzt die richtige Zeit, darüber nachzugrübeln? Würde eine Psi eigentlich wissen wollen, dass ein Omega bereits weit vor dem Ende des Ruhezyklus wach war? Sicherlich würde sie eher verärgert reagieren ob einer solchen Nichtigkeit.
Omega entschied sich gegen eine Meldung und schob die Tür vorsichtig weiter auf. Es zögerte den Bruchteil einer Sekunde und trat dann hinaus in den Gang. Seine Tür war in der Tat die einzig geöffnete. Alle anderen waren noch fest verschlossen.
Omega schaute in beide Richtungen den Gang entlang. Das dumpfe Geräusch schien sich zu entfernen. Omega legte den Kopf zur Seite und lauschte. Das Geräusch ähnelte Schritten aber irgendwie auch nicht. Es entfernte sich aber definitiv.
Sollte es folgen? Was wäre wenn Omega folgte und dadurch seinen Dienst verpasste? War es eigentlich verboten vor Ende des Ruhezyklus seine Subeinheit zu verlassen? Auch darüber hatte Omega noch nie nachgedacht. Es war einfach immer logisch gewesen, den Ruhezyklus für die Ruhe zu nutzen. Warum sollte ein Omega das nicht tun? Was sonst sollte ein Omega tun? Immerhin war es logisch nach Verrichtung seines täglichen Dienstes ins Habitat zurückzukehren und zu ruhen. Omega grübelte weiter und vergaß dabei gänzlich, dass es eigentlich dem Geräusch folgen wollte.
Guten Morgen, Omega. Der Ruhezyklus ist beendet. Die inneren Organe funktionieren außerhalb der vorgegebenen Parameter. Bitte begib dich vor Dienstantritt zur Wartung auf Ebene 7.
Omega zuckte zusammen. Seine beiden Herzen schlugen viel zu schnell. Es trat zurück in seine Subeinheit und schob die Tür wieder zu. Es war noch viel zu jung für eine Wartung. Die erste Wartung wäre erst in weiteren 789 Ruhezyklen fällig. Und dieses merkwürdige Kribbeln in seinem Inneren. Omega blickte auf seine Hände. Sie zitterten. Alle vier.
Omega war noch nie auf Ebene 7 gewesen. Jetzt, wo es darüber nachdachte, war es noch nie woanders gewesen als auf Ebene 9 seines Habitats und Ebene 17 des Produktionsbereiches.
Und noch nie zuvor hatte die Psi am Morgen die Funktionen von Omegas Organen mitgeteilt. Eine Guten-Morgen-Nachricht gab es nach jedem Ruhezyklus. Noch nie zuvor hatte die Psi mehr gesagt. Omega grübelte weiter, verschlang zwei Hände vor sich und zwei hinter sich und begann die 6qm seiner Subeinheit auf und ab zu gehen.
6:45 Uhr schwang die Tür auf. Omega blickte auf und zögerte etwas. Die Tür gegenüber War ebenfalls offen und sein Kollege war schon auf den Gang hinaus getreten
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