„Wer fürchtet den Tod“
Autorin: Nnedi Okorafor
512 Seiten / Taschenbuch
ISBN: 9783959811866
Verlag: Cross Cult

In einer nicht näher definierten post-apokalyptischen Zukunft werden die dunkelhäutigen Okeke von den hellhäutigen Nuru unterdrückt. Um sich an der Vergewaltigung ihrer Mutter zu rächen und ihr Volk zu befreien macht sich das Mädchen Onyesonwu (dt.: Wer fürchtet den Tod) auf eine lange Reise voller Magie und Gefahren. Ihr Ziel: Den mächtigen Zauberer Daib zu töten – ihren Vater und Vergewaltiger ihrer Mutter.

Was für ein Buch. Im Rahmen des offenen Lesezirkels des SF-Netzwerks gelesen und für mich für gut befunden. Wenn man es herunter bricht, entspricht das Buch den klassischen Fantasy-Tropes: junge Heldin, außergewöhnliche Kräfte, übermächtiger Gegner, Welt retten usw. Ich denke, das ist auch das einzige, was ich wirklich bemängeln würde. Andererseits ist es schwierig, im Genre was wirklich neues zu erschaffen, das es nicht schon gibt. Und viele andere Romane sind – wenn man sie abspeckt – auch nur ein Abklatsch von bereits dagewesenem. Trotzdem möchte ich dieses Buch loben. Okorafor nimmt den Leser mit in ein futuristisches Afrika, in dem trotz allem Tradition, Brauchtum und Aberglaube eine große Rolle spielen. Warum sollte es da auch anders sein, als in anderen von Autoren geschaffenen Welten. Erschreckend sind dabei besonders die Gräueltaten, die die Nuru den Okeke antun. Onyesonwus ist das Ergebnis einer brutalen Massenvergewaltigung von Okeke-Frauen, darunter Onyesonwus Mutter Najeeba, durch Nuru-Männer. Die dort beschriebenen Szenen sind alles andere als leicht verdaulich und wenn man da empfindlich ist (so wie ich), dann sollte man sie entweder vermeiden oder nur oberflächlich überfliegen. Ja, das darf man als Triggerwarnung verstehen. Onyesonwus Mutter allerdings ist ein Beispiel dafür, wie stark Frauen sind. Immer! Ich habe das extrem bewundert. Nicht nur, dass sie die Vergewaltigung überlebt und daraus schwanger hervorgeht, nein, zu aller himmelschreienden Ungerechtigkeit gilt sie nun als Aussätzige und muss ihr Dorf und ihren Mann, den sie sehr geliebt hat, verlassen, weil sie als Schande gilt. (Ehrlich, ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen könnte bei dieser Thematik.) Weit von der Realität ist dies ja nicht entfernt. Trotzdem gibt Onyesonwus Mutter nicht auf und bringt eine Tochter zur Welt, die sturer, wütender und beeindruckender nicht sein kann.

Einige Mitleser im Lesezirkel bemängelten, dass Onyesonwus Wut auf Dauer nervt und ich gestehe, dass dies auch für mich sehr anstrengend war, denn Onyesonwu ist ständig wütend. Andererseits ist es für mich nachvollziehbar, woher ihre Wut rührt. Sie gehört nirgendwo dazu. Sie ist weder Okeke noch Nuru und ihr Aussehen zeichnet sie als Ewu ab, misstrauisch beäugt von allen Seiten. Dazu kommt, dass die Okeke glauben, dass Ewu, die das Erzeugnis eines Gewaltaktes sind, selbst nur Gewalt kennen. Am liebsten hätte ich Onye in den Arm genommen und ihr gesagt, dass alles gut wird. Und wahrscheinlich hätte sie mich dafür verprügelt, denn Mitleid will Onye genausowenig haben. Wir folgen ihrem Leben. Ihren Erzählungen. Ihren Geschichten der Kindheit. Damit sie dazu gehört, nimmt sie am 11. Ritual teil: einer Beschneidung. Ja, auch das thematisiert Okorafor in dem Buch. Weibliche Beschneidung. Durch das Ritual entsteht eine Verbindung zwischen Onye und den drei anderen Mädchen, die daran teilgenommen haben: Binta, Diti und Luyu. Die vier verbindet ab da eine ungewöhnliche Freundschaft und schnell erfährt man als Leser auch noch andere Dinge, die in allen Gesellschaften eine dunkle Rolle spielen. Sexueller Missbrauch durch einen männlichen Verwandten, in diesem Falle Bintas Vater. Bintas Schicksal hat mich zutiefst berührt. Sie wächst vor den Augen des Lesers und ich habe so manches Mal ihren Mut und ihre Kraft bewundert.

Onyesonwu merkt sehr bald, dass sie etwas Besonderes ist. Sie möchte bei dem ansässigen Zauberer Aro in de Lehre gehen doch er weist sie immer wieder ab, weil sie ein Mädchen ist. Sie verliebt sich in den Ewu-Jungen Mwita und die beiden verbindet sehr bald ein enges Band.

Der Zauberer Daib, der Vergewaltiger ihrer Mutter und somit Onyesonwus biologischer Vater, beobachtet Onyesonwu immer wieder und versucht sie auch im Traum durch Magie umzubringen. Zusammen mit Mwita und ihren Freundinnen bricht Onye auf, sich ihm zu stellen und ihre Reise ist voller Gefahren und Fantastik. Die Vorstellungskraft von Nnedi Okorafor hat mich einfach extrem beeindruckt. Zu keiner Zeit fand ich das Buch langweilig oder zäh, ganz im Gegenteil, diese Welt war für mich einfach nur faszinierend und exotisch. Und auch wenn man früh erfährt, wie die Geschichte irgendwie enden wird, hat es Okorafor trotzdem geschafft, die Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten.

Mein persönliches Lesehighlight bis jetzt und ich bin sehr gespannt, „Das Buch des Phoenix“ zu lesen, was ebenfalls in dieser Welt angesiedelt sein wird.

4 Kommentare zu „Okorafor, Nnedi – Wer fürchtet den Tod

  1. Hallo,

    freut mich, dass dir das Buch auch gefiel. Okorafor ist wirklich eine tolle Autorin.
    Was die bekannten Tropes angeht, so gebe ich dir recht, dass es schwer ist was anderes zu erfinden.
    Ich könnte mir vorstellen, dass Okorafor die mit Absicht verwendet hat. Diese Tropes werden ja normalerweise bei Geschichten über weiße (und meist auch männliche) Protagonisten verwendet. Ich könnte mir vorstellen, dass sie zeigen wollte, wie solche Tropes aussehen, wenn die Protagonistin ein schwarzes Mädchen ist. Mich stören solche Tropes nicht, wenn sie interessant geschrieben sind und auf eine neue oder originelle Weise verwendet werden, was hier ja der Fall war. Ich bin gespannt, wie du „das Buch des Phönix“ findest. Das habe ich noch nicht gelesen.

    LG
    Elisa

    • Liebe Elisa,
      ja, Okorafor ist echt gigantisch. Ich liebe ihre Bücher bis jetzt. Bin da auch voll bei dir was die Tropes angeht. Mir egal ob sie verwendet werden, solange sie gut gemacht sind und der Rest passt. Ich habe einige Meinungen gelesen, dass das Buch zu langatmig wurde und vieles keinen Sinn machte, aber das habe ich für mich nicht nachvollziehen können. Ich war einfach durchweg begeistert. Wenn Du „Das Buch des Phoenix“ liest, bin ich auch sehr auf Deine Meinung gespannt. Bei mir wird es noch etwas dauern, obwohl es schon im Regal steht. Habe noch einiges an Rezensionsbüchern, die vorher dran kommen.
      LG
      Grit

  2. Wow! Ich bin echt beeindruckt von der Beurteilung, die du dem Buch gibst! Auch wenn das Geschehen durch und durch düster ist und Gefühle wie schockierte Fassungslosigkeit, Wut und Trauer, kann ich mir durchaus vorstellen, das Buch einmal zur Hand zu nehmen. Es klingt nach einer absolut gewaltigen Geschichte, und an so etwas komme ich einfach nicht vorbei!
    Liebste Grüße,
    Ida

    • Liebe Ida,
      ja, ich kann es nur empfehlen. Es ist so eine fantastische Welt, die sie da erschaffen hat mit vielen fantastischen Dingen, die mich einfach nur umgehauen hat. Wenn Du es liest, bin ich sehr auf Deine Meinung gespannt.
      LG
      Grit

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